Antrag

Antrag der Bündnis 90/Grünen Fraktion im Deutschen Bundestag zur Forderung einer Zulassungspflicht für Nahrungsergänzungsmitteln

National festgelegte Höchstmengen für Vitamine und Mineralien in Nahrungsergänzungsmitteln, eine Positivliste für zugesetzte Stoffe, eine Meldestelle für Wechsel- und Nebenwirkungen und verpflichtende Warnhinweise bei Wechselwirkungen – diese Maßnahmen soll die Bundesregierung nach dem Willen der Grünen-Fraktion umsetzen. 

mit Antrag vom 12.05.2020 (Bundestags-Drucksache 19/19135) haben die Grünen einen Antrag gestellt, Nahrungsergänzungsmittel besser regulieren zu lassen. In dieser Antragsschrift werden nicht nur falsche Tatsachen behauptet, sondern auch noch die aktuell gültige Rechtslage falsch wiedergegeben. Die behauptete Notwendigkeit einer weiteren Regulierung der Nahrungsergänzungsmittel würde völlig konterkariert, da die kleinen mittelständischen deutschen Unternehmen signifikant gegenüber ausländischen Anbietern, insbesondere Online-Unternehmen, benachteiligt würden, die Verbraucher in die Hände von dubiosen Internet-Händler getrieben werden und die deutsche mittelständische Industrie mit soliden ernährungswissenschaftlich begründeten und sicheren Nahrungsergänzungsmitteln nachhaltig in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung bedroht werden. 

Vor diesem Hintergrund nehmen wir zu dem Antrag wie folgt Stellung.

1. Regelungsziel ist überflüssig

Die Grünen suggerieren in dem Antrag, dass Nahrungsergänzungsmittel gefährliche, unregulierte Substanzen in Deutschland seien. 

Diese Behauptung ist schlicht falsch. 

Zunächst ist festzustellen, dass Nahrungsergänzungsmittel nach ihrer Legaldefinition bereits nur eine ernährungsspezifische und ernährungsphysiologische Wirkung aufweisen dürfen. Dies unterscheidet gerade ein Nahrungsergänzungsmittel von einem Arzneimittel, dass dagegen eine pharmakologische Wirkung aufweist und damit erheblich in den menschlichen Stoffwechsel eingreift. Die Rechtsprechung differenziert deshalb bei der Einstufung von Nahrungsergänzungsmitteln oder Arzneimitteln auch danach, dass eine sogenannte Erheblichkeitsschwelle nicht überschritten wird. So hat der EuGH in seinem Knoblauch-Urteil vom 15.11.2007, 10-319/05 klargestellt, dass Nahrungsergänzungsmittel solche Stoffe sind, die zwar auf den menschlichen Körper einwirken, sich aber nicht nennenswert auf den Stoffwechsel auswirken und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflussen. Nahrungsergänzungsmittel überschreiten somit anders als pharmakologisch wirkende Arzneimittel nicht eine solche Erheblichkeitsschwelle. 

Dies ist auch der Grund, weshalb der Europäische Gesetzgeber sich europaweit in der Richtlinie 2002/46/EG dazu entschlossen hat, keine Zulassungspflicht für Nahrungsergänzungsmittel vorzusehen. Den europäischen Mitgliedsstaaten wurde es lediglich freigestellt, ein entsprechendes Anzeigeverfahren zu etablieren, was Deutschland entsprechend umgesetzt hat. 

Unabhängig davon zeigen die zahlreichen Arzneimittelskandale der Vergangenheit, dass auch eine von den Grünen geforderte Zulassungspflicht nicht die Garantie dafür bieten kann, dass nicht im Einzelfall auch unsichere Präparate in den Verkehr gebracht werden, sei dies auf Grund von menschlichen Fehlern oder auf Grund von kriminellem Verhalten Einzelner. Die Suggestion, dass eine Zulassungspflicht somit generell Risiken im Gesundheitsbereich aus-schließen könne, ist falsch. 

Fakt ist, dass nach der aktuellen geltenden Rechtslage in Deutschland ohnehin kein Unternehmen ein unsicheres Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr bringen darf. Art. 14 Abs. 1 der VO 178/2002/EG untersagt es unsichere Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, sei es, dass sie gesundheitsschädlich sind oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet. Dieses Verbot kann von Überwachungsbehörden jederzeit mit einem Sofortvollzug umgesetzt werden, so dass auch ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat. Auch sieht Art. 50 Abs. 1 der VO 178/2002/EG ein europaweites Schnellwarnsystem vor, mit dem sich Behörden untereinander über entsprechend gefährliche Präparate informieren können. Gemäß Art. 19 der VO 178/2002/EG sind Lebensmittelunternehmer, die über die nicht bestehende Verkehrsfähigkeit informiert werden, verpflichtet die zuständigen Behörden zu informieren und die Produkte aus dem Markt zurückzurufen. Selbstverständlich kann die Behörde im Falle von gesundheitsschädlichen Präparaten auch den Rückruf selbst anordnen. 

Es ist vor diesem Hintergrund völlig falsch zu suggerieren, dass der aktuelle Rechtsrahmen nicht ausreicht. Unabhängig davon erfolgt eine Kontrolle des Marktes der Nahrungsergänzungsmittel ebenfalls durch wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten durch Wettbewerber und Verbraucherschutzverbände. 

Wie überall im Leben gibt es aber bedauerlicherweise Kriminelle, die den Verbraucher und den Markt täuschen. Dies ist im Übrigen auch bei zugelassenen Arzneimitteln der Fall. Auch hier sollte man sich deshalb von einem angeblich sicheren Zulassungsverfahren nicht täuschen lassen. Die wiederholten Arzneimittelskandale in der Vergangenheit haben gezeigt, dass ein solches Zulassungssystem auch nicht vor kriminellen Machenschaften schützen kann. 

Sofern somit eine Zulassung von Nahrungsergänzungsmitteln gefordert und damit der falsche Eindruck erweckt wird, damit seien alle Probleme gelöst, sei zu erinnern, dass nach einer aktuellen Publikation im Ärzteblatt europäische Ermittler in einer groß angelegten Aktion mehr als 13 Millionen illegale Medikamente im Wert von rund 165 Millionen Euro sichergestellt haben. Vor diesem Hintergrund ist es ein Ammenmärchen, zu behaupten, dass eine Zulas-sungspflicht den Verbraucher vor unseriösen, möglicherweise gefälschten Präparaten schützt. Auf die zahlreichen Skandale mit zugelassenen Arzneimitteln, wie Lipobay-Skandal bei der Firma Bayer, den Vioxx-Schmerzmitteln der Firma Merck, verunreinigtes Heparin aus China von dem Pharmahersteller Baxter, Steigerung des Herzinfarktrisikos durch den Blutdrucksenker Aviander von GlaxoSmithKline sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass die Bedrohung durch zugelassene Arzneimittel deutlich größer ist, als die Risiken von Nahrungs-ergänzungsmitteln.

2. Wertvolle Nahrungsergänzungsmittel

Sofern der Antrag den Eindruck erweckt, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht benötigt werden, ist auch dies unzutreffend. 

Sicher mag es gesunde Verbraucher geben, die sich am Tag ausgewogen ernähren, viel Obst und Gemüse zu sich nehmen und keine besonderen physiologischen Bedürfnisse haben. Dies entspricht jedoch nicht der Mehrzahl der Durchschnittsverbraucher. Diese zeichnen sich vielmehr gerade umgekehrt dadurch aus, dass sie sich regelmäßig unausgewogen ernähren, z. B. durch Fastfood, Kantinenessen oder einseitige Ernährungsformen wie Diäten, Vegetarier, Veganer etc. Ferner gibt es natürlich die große Gruppe von Personen in besonderen physiologischen Umständen, wie z. B. Schwangere, Sportler, Senioren, die aufgrund ihrer besonderen physiologischen Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten ebenfalls einen erhöhten Bedarf an Nährstoffen aufweisen. 

Zudem hat bereits der europäische Gesetzgeber festgestellt, dass der Idealfall einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Ernährung in der Bevölkerung schlicht nicht zutrifft. 

Bereits der Gesetzgeber hat in Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2002/46/EG festgestellt: 

„Eine geeignete, abwechslungsreiche Ernährung sollte in der Regel alle für eine normale Entwicklung und die Erhaltung einer guten Gesundheit erforderlichen Nährstoffe in den Mengen bieten, die auf der Grundlage allgemein anerkannter wissenschaftlicher Daten ermittelt wurden und empfohlen werden. Aus Untersuchungen geht jedoch hervor, dass dieser Idealfall in der Gemeinschaft nicht auf alle Nährstoffe und alle Bevölkerungsgruppen zutrifft.“

Es wäre somit zutreffend auszuführen, dass für normale gesunde Verbraucher, die sich ausgewogen und abwechslungsreich ernähren und viel Obst und Gemüse am Tag essen es in der Regel keiner weiteren Zufuhr von Vitaminen bedarf. „Normal“ ist dies jedoch gerade nicht. Die normale Ernährung zeichnet sich vielmehr gerade durch einseitige Essensgewohnheiten aus, Fast Food, Kantinenessen etc. 

Verbraucher, die sich in besonderen physiologischen Bedingungen befinden und einen erhöhten Bedarf an Vitaminen/ Mineralstoffen aufweisen können zudem trotz normaler Ernährung einen zusätzlichen Bedarf an konzentrierten Vitaminen haben. Erst recht gilt dies für die Verbraucher, die sich nicht ausgewogen und abwechslungsreich ernähren. 

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls festzustellen, dass die auf europäischer Ebene zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gerade erst vor kurzem den Nutzen von Vitaminen und Mineralstoffen in Nahrungsergänzungsmitteln ausführlich überprüft hat. Basierend auf den wissenschaftlichen Bewertungen der EFSA hat der europäische Gesetzgeber mit der VO 432/2012/EG eine Vielzahl von wissenschaftlich nachgewiesenen Gesundheitswirkungen von Vitaminen und Mineralstoffen bestätigt und ausdrücklich erlaubt. 

Daraus lässt sich entnehmen, dass nahezu alle Vitamine und Mineralstoffe nach der ausführlichen Überprüfung der zuständigen Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit einen nachgewiesenen Gesundheitsnutzen haben. 

Einzige Voraussetzung ist, dass mit dem entsprechenden Lebensmittel mindestens 15% der Referenzmengen zugeführt werden müssen. Wird somit diese Dosierung mit einem entsprechenden Nahrungsergänzungsmittel erreicht, hat das Produkt nach der umfangreichen wissenschaftlichen Überprüfung durch die EFSA einen Gesundheitsnutzen für die angesprochen Verbraucher. 

Insoweit wurden z. B. folgende Wirkungen bestätigt: 

Biotin: Energiestoffwechsel, Nervensystem, psychische Funktionen, Haare, Schleimhäute, Haut;

Calcium: Blutgerinnung, Energiestoffwechsel, Muskelfunktionen, Verdauungsenzyme, Knochen, Zähne;

Eisen: kognitive Funktionen, Energiestoffwechsel, rote Blutkörperchen, Sauerstofftransport, Immunsystem, Müdigkeit, Zellteilung;

Folat: Wachstum mütterlichen Gewebes während der Schwangerschaft (Neuralrohr), Blutbildung,  Homocysteinstoffwechsel, psychische Funktionen, Immunsystem, Müdigkeit, Zellteilung;

Jod: kognitive Funktionen, Energiestoffwechsel, Nervensystem, Haut;

Kalium: Nervensystem, Muskelfunktionen, Blutdruck;

Kupfer: Bindegewebe, Energiestoffwechsel, Nervensystem, Haarpigmente, Eisentransport, Hautpigmentierung, Immunsystem, Zellschutz;

Magnesium: Ermüdung, Elektrolytgleichgewicht, Energiestoffwechsel, Nervensystem, Muskelfunktionen, Eiweißsynthese, psychische Funktionen, Knochen, Zähne, Zellteilung;

Mangan: Energiestoffwechsel, Knochen, Bindegewebsbildung, Zellschutz;

Niacin: Nervensystem, psychische Funktionen, Schleimhäute, Haut, Müdigkeit;

Pantothensäure: Energiestoffwechsel, Müdigkeit, geistige Leistung;

Phosphor: Energiestoffwechsel, Knochen, Zähne;

B2: Energiestoffwechsel, Nervensystem, Schleimhäute, Blutkörperchen, Haut, Sehkraft, Energiestoffwechsel,  Zellschutz, Müdigkeit;

Selen: Spermabildung, Haare, Nägel, Immunsystem, Schilddrüsenfunktion;

Thiamin: Energiestoffwechsel, Nervensystem, psychische Funktionen, Herzfunktion;

Vitamin A: Energiestoffwechsel, Schleimhäute, Haut, Sehkraft, Immunsystem;

B12: Energiestoffwechsel, Nervensystem, Homocystein-Stoffwechsel, psychische Funktionen, rote Blutkörperchen,  Immunsystem, Müdigkeit;

B6: Energiestoffwechsel, Nervensystem, psychische Funktionen, Blutkörperchen, Immun-system, Müdigkeit, Hormontätigkeit;

Vitamin C: Kollagenbildung für eine normale Funktion der Blutgefäße, Kollagenbildung für eine normale Funktion der Knochen und Knorpelfunktionen, Haut, Zähne, Energiestoffwechsel, Nervensystem, psychische Funktionen,  Immunsystem, Zellschutz, Müdigkeit;

Vitamin D: normaler Calciumspiegel, Knochen, Muskelfunktionen, Zähne, Immunsystem, Zellteilung;

Vitamin E: Zellschutz;

Vitamin K: Blutgerinnung, Knochen;

Zink: Säure-Basen-Stoffwechsel, Kohlenhydratstoffwechsel, kognitive Funktionen, DNA-Synthese, normale Fruchtbarkeit, Fettsäurestoffwechsel, Eiweißsynthese, Knochen, Haare, Nägel, Haut, Testosteronspiegel, Sehkraft, Immunsystem, Zellschutz. 

Entgegen der Darstellung der Grünen ist somit eine Vielzahl von positiven wissenschaftlichen Auswirkungen von Vitaminen und Mineralstoffen auf die Gesundheit wissenschaftlich belegt und gesetzlich europaweit genehmigt. 

Soweit ausgeführt wird, dass für gesunde Verbraucher Nahrungsergänzungsmittel nicht sinnvoll sind, ist festzustellen, dass sich die von der EFSA geprüften und vom europäischen Gesetzgeber zugelassenen gesundheitsbezogenen Aussagen sich auf die „Erhaltung der normalen Funktion“ beziehen, also gerade für gesunde Verbraucher bestimmt sind. 

3. Dosierungen

Soweit darauf verwiesen wird, dass Nahrungsergänzungsmittel häufig in Dosierungen angeboten wurden, die den Tagesbedarf an Vitaminen/Mineralstoffen um ein Vielfaches überschreiten und somit das Erkrankungsrisiko in den meisten Situationen sogar erhöhen können, halten wir dies für eine unzulässige Verdrehung der relevanten Tatsachen.

a)

Zunächst ist festzustellen, dass eine Überschreitung der Empfehlungen kein Gesundheitsrisiko belegt. Das Gegenteil ist der Fall. Die Grünen suggerieren mit ihrem Antrag, dass immer dann, wenn der empfohlene Tagesbedarf überschritten wird, ein Gesundheitsrisiko besteht. Das ist eine völlig unzureichende Darstellung der Sach- und Rechtslage. Die Empfehlungen des Tagesbedarfs bezieht sich auf durchschnittliche Erwachsene, sie beziehen sich dagegen nicht auf Personen mit besonderen ernährungsphysiologischen Bedürfnissen, auf Grund von besonderen Lebensumständen, wie Veganer, Vegetarier, Senioren, Schwangere, Bodybuilder etc. 

Das von den Grünen zitierte Bundesinstitut für Risikobewertung geht selbst davon aus, dass es sich bei seinen Empfehlungen um bloße Vorschläge handelt, die genauso gut anders beurteilt werden könnten. 

Wir zitieren aus dem entsprechenden Vorwort der Publikation des BfR von Prof. Dr. Hensel, Präsident des BfR, wie folgt:

„Die Dokumentation soll als Diskussionsgrundlage und als Entscheidungshilfe bei der Festlegung von Nährstoff-Höchstmengen für Nahrungsergänzungsmittel und angereicherte Lebensmittel durch das Risiko-Management in Deutschland und die Europäische Gemeinschaft dienen. Je nach angestrebtem Schutzniveau gibt es verschiedene Möglichkeiten der Regelung, die in der zweibändigen Dokumentation unter Erwähnung ihrer Vor- und Nachteile dargelegt werden. Die politische Entscheidung für eine der aufgezeigten Möglichkeiten soll dadurch nicht vorweggenommen werden. Sie fällt auf gemeinschaftlicher europäischer Ebene.“

Auch in der Publikation der DEG zu den Referenzmengen für die Nährstoffzufuhr heißt es ausdrücklich: 

„Die vorliegenden Referenzwerte beziehen sich nicht auf die Versorgung von Kranken und Rekonvaleszenten. Sie sind auch, mit Ausnahme von Jod, nicht ausreichend, um bei Personen mit einem Nährstoffmangel entleerte Speicher wieder aufzufüllen. Sie gelten ebenso nicht für Personen mit Verdauungs- und Stoffwechselstörungen, sowie für durch Genussgifte (z.B. erhöhter Alkoholkonsum) oder eine regelmäßige Medikamenteneinnahme belastete Personen. Dieser Personenkreis bedarf der individuellen medizinischen Beratung und Betreuung. Das betrifft auch die Verhütung von Spätfolgen und Spätschaden nach der Manifestation und Progression von Erkrankungen.

Energie- und Nährstoffbedarf sind von Mensch zu Mensch und von Tag zu Tag verschieden und hängen von vielerlei endogenen und exogenen Einflüssen ab.“ 

Dies spricht klar und deutlich ernährungsmedizinisch gegen eine generelle unflexible Festlegung einer Höchstmenge für Vitamine und Mineralstoffe unabhängig von den individuellen Bedürfnissen der Verbraucher. 

b)

Falsch ist vor diesem Hintergrund auch der Hinweis der Grünen auf angeblich immer wiederkehrende Mängel von der Lebensmittelüberwachung festgestellte Mängel an Überdosierungen oder nicht zugelassenen Zutaten. 

Hierzu ist festzustellen, dass keine Erhebung dokumentiert, in welchem Umfang entsprechende Beanstandungen überhaupt rechtlich begründet sind. In einer Vielzahl von Fällen korrigieren die Gerichte entsprechende behördliche Beanstandungen als juristisch unbegründet.

Gerade wenn die Überwachungsbehörden auf Grund der „Empfehlungen“ des BfR eine Dosis beanstanden, ist festzustellen, dass nach der aktuellen Rechtslage ein Produkt, dass eine gesundheitliche unbedenkliche Dosierung enthält, die aber die Empfehlungen des BfR überschreitet, tatsächlich keinen juristischen Mangel aufweist, wie von den Grünen tatsächlich suggeriert. 

Ab wann von einer gesundheitsschädlichen Dosierung auszugehen ist, ist auf europäischer Ebene auch bereits geklärt. Der europäische Gesetzgeber hat die auf europäische Ebene zuständige europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) beauftragt, entsprechende Risikobewertungen von Vitaminen und Mineralstoffen vorzunehmen. Für Vitamine und Mineralstoffe liegen entsprechende Gutachten der EFSA vor. In diesem Zusammenhang wurde jeweils ein upper save level (UL) determiniert. Dieser bestimmt die sichere Aufnahmemenge von Vitaminen/Mineralstoffen aus allen Lebensmittelquellen. Unterschreitet ein Produkt somit diesen upper save level ist nach der Prüfung durch die EFSA von einem gesundheitlich unbedenklichen Lebensmittel auszugehen. Weshalb ein Produkt unterhalb des upper safe levels gesundheitlich bedenklich sein soll, weil es die „Empfehlungen“ des BfR überschreitet, erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht.

c)

Vollends skurril wird es, wenn der Antrag der Grünen damit begründet wird, dass in Corona-Zeiten zahlreiche Unternehmen ihre Produkte illegal bewerben und suggerieren, dass mit der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln das Coronavirus vorgebeugt werden könne. 

Natürlich ist dies eine unzulässige Werbung. Nach der aktuellen Rechtslage sind Überwachungsbehörden und Gerichte aufgefordert, eine entsprechende illegale Werbung zu untersagen. Für Lebensmittel darf nicht krankheitsbezogen geworben werden gemäß Art. 7 Abs. 3 der VO 1169/2011/EG. Zudem darf auch nur mit Wirkungen geworben werden, die wissenschaftlich belegt sind gemäß § 11 LFGB i.V.m. Art. 7 der VO 1169/2011/EG. 

Auch zahlreiche Arzneimittel und Medizinprodukte werden allerdings mit angeblichen Wirkungen gegen das Coronovirus illegal beworben, obwohl der Gesetzgeber für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Zulassungs- und Zertifizierungspflicht vorsieht. 

Eine illegale Werbung von schwarzen Schafen ist jedoch kein Grund eine Zulassungspflicht für eine gesamte Branche zu fordern und insbesondere die Rezepturen zu hinterfragen, die mit der Werbung gegen Corona überhaupt nichts zu tun haben. 

Auch wenn es eine Zulassungspflicht gäbe und national vorgeschriebene Höchstmengen-grenzen würde dies somit in keinem Fall eine illegale Werbung eines Nutzens gegen das Coronavirus verhindern. Für das angestrebte Ziel eine illegale Werbung gegen das Coronavirus zu verhindern ist die beabsichtigte legislative Maßnahme somit völlig ungeeignet.

d)

Im Übrigen ist der Antrag auch deshalb ungeeignet, weil er zu nichts anderem führen wird als zu einer Benachteiligung der seriösen mittelständischen und kleinen Lebensmittelunternehmer in Deutschland. 

Diese sind ohnehin unter ständiger Kontrolle der zuständigen regionalen Überwachungsbehörden und Verbraucherschutzvereine. Hier wird, jede Rezeptur, jede Produktkennzeichnung und jede Werbung ständig sorgfältig kontrolliert. Diesen Lebensmittelunternehmern und den Patienten in Deutschland sollen somit sichere, da unterhalb der upper save level liegende Rezepturen untersagt werden. Dies würde zu nichts anderem führen, als dass die Verbraucher bei unseriösen Online-Anbietern im Ausland z.B. in Luxemburg und auf den Cayman-Islands und den USA ihre Produkte bestellen, ohne entsprechende Durchgriffs- und Kontrollmöglichkeit durch die deutschen Überwachungsbehörden. Diese Gesetzesinitiative der Grünen würde somit das Gegenteil dessen bewirken, was angestrebt ist. Die Überwachungsmöglichkeit der deutschen Behörden wäre völlig lahmgelegt und die deutschen Verbraucher würden in die Hände von unseriösen Internetanbietern aus dem Ausland getrieben. Der Gesetzesantrag der Grünen schadet somit den deutschen Verbrauchern und den deutschen Lebensmittelunter-nehmern, er führt zu mehr Unsicherheit und zu mehr unkontrollierten, gefährlichen Produkten.

e)

Völlig falsch sind auch die Ausführungen der Grünen, dass für sogenannte „sonstige Stoffe“ wie Pflanzen und Pflanzenzubereitungen „keine Regulierung besteht“. 

Dies ist schlicht falsch. Auch für diese Zutaten gilt, dass es jedem Lebensmittelunternehmer und gemäß Art. 14 der VO 178/2002/EG untersagt ist, unsichere Lebensmittel in Verkehr zu bringen. Auch darf das Produkt keine pharmakologische Wirkung eines Arzneimittels aufweisen. Es gibt auch europaweite Grenzwerte für Schwermetallbelastungen und andere Kontaminanten. Jedes Produkt muss vor dem ersten Inverkehrbringen beim BVL angezeigt wer-den. Jedes deutsche Unternehmen unterliegt der ständigen Überwachung durch die zuständige regionale Überwachungsbehörde.

f)

Falsch ist auch die Behauptung der Grünen, dass die Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie von 2002 eine Zulassungspflicht für Nahrungsergänzungsmittel vorsieht. Das Gegenteil ist der Fall, vielmehr wurde es den Mitgliedsstaaten völlig freigestellt, ob eine Anzeigepflicht national geregelt wird oder nicht. Eine Zulassungspflicht fordert die Richtlinie jedoch gerade nicht. 

Soweit darauf verwiesen wird, dass die Lebensmittelüberwachungsbehörden in der Verantwortung seien, die Produkte zu bewerten und bestehende Mängel zu sanktionieren, ist es ein sich im täglichen Leben ständig wiederholender Vorgang, dass regionale Überwachungsbehörden vor Ort entsprechende Verhaltensweisen von Wirtschaftsteilnehmern prüfen und sanktionieren. Weshalb dies nicht praktikabel sein soll, erschließt sich nicht. 

Gerade im Gesundheitsbereich bedarf es einer bestimmten Flexibilisierung, um die individuellen Bedürfnisse der Verbraucher angemessen zu berücksichtigen. 

Es ist auch sinnlos, wenn auf Überschreitungen von EFSA-Empfehlungen verwiesen wird, da Empfehlungen nun einmal recht unverbindliche Empfehlungen sind. Wären die Dosierungen gesundheitlich schädlich, könnten die Behörden jederzeit den Vertrieb untersagen. Soweit darauf verwiesen wird, dass z.B. bei Magnesium-Präparaten 64% der untersuchten Produkte die vom BfR empfohlene Höchstmenge deutlich überschreiten, ist festzustellen, dass es sich um eine bloße Empfehlung handelt, die rechtlich nicht verbindlich ist, weshalb auch keine Veranlassung gesehen wird, eine rechtliche unverbindliche Empfehlung einhalten zu müssen, solange kein Gesundheitsrisiko besteht. 

Im Übrigen besteht auch als mildere, verhältnismäßige Maßnahme die Aufnahme von Warn-hinweisen, wie dies bei magnesiumhaltigen Präparaten bei vielen Anbietern der Fall ist, soweit z.B. darauf verwiesen wird, dass weitere magnesiumhaltige Quellen nicht eingenommen wer-den sollten oder die Einnahme auf den Tag verteilt erfolgen sollte und nicht nur eine Einnahme täglich.

Auch in Bezug zu Gelenkbeschwerden verweisen die Grünen wieder darauf, dass nicht nachgewiesene Gesundheitsversprechen gegeben wurden. Hierfür wurde doch gerade erst das Instrument der Health Claims Verordnung in der VO 1924/2006/EG vom Gesetzgeber etabliert. Was eine illegale Werbung mit Tagesdosierungen und Zulassungspflicht zu tun haben soll, erschließt sich von vorneherein nicht. 

Soweit verpflichtende Warnhinweise zu Wechselwirkungen mit Arzneimitteln für Nahrungsergänzungsmittel vorgeschrieben werden, ist festzustellen, dass entsprechende gesetzliche Re-gelungen bereits in Art. 14 der VO 178/2002/EG und Art. 10 der VO 1924/2006/EG bestehen. 

Im Ergebnis ist festzustellen, dass für nicht pharmakologische Substanzen eine Zulassungs-pflicht unverhältnismäßig erscheint. Ebenfalls wird die individuelle Dosierungsmöglichkeit durch den Verbraucher und den ihn beratenden Ernährungsexperten eingeschränkt, ohne dass hierfür eine gesundheitliche Notwendigkeit gibt. Denn bei Einhaltung der upper save levels sind die Produkte verkehrsfähig und sicher, auch wenn im Einzelfall eine höhere Dosierung als für den normalen Durchschnittsverbraucher zugeführt wird.

Keine sinnvolle Lösung kann es jedoch sein, die Verbraucher in solchen Fällen in die Hände unseriöser Produktanbieter aus dem Ausland zu treiben. Dies ist weder ernährungsmedizinisch angezeigt noch ökonomisch sinnvoll und würde zu einer erheblichen Benachteiligung der mittelständischen und kleinen Anbieter im Nahrungsergänzungsmittelbereich in Deutsch-land sorgen. 

Gerade in Zeiten der Corona-Krise würde dies die kleinen, mittelständischen Unternehmen in Deutschland, die die Struktur der Nahrungsergänzungsmittelbranche auszeichnen, unverhältnismäßig benachteiligen. 

Weder ernährungsmedizinisch noch ökonomisch noch juristisch ergibt somit der entsprechende Antrag der Grünen Sinn. Vielmehr verdichtet sich der Eindruck, dass es hier um Symbolpolitik geht und die Grünen reflexartig ihrem Ruf als Verbotspartei gerecht werden.

Dr. Thomas Büttner                     

Rechtsanwalt                    

Vorstand und Lebensmittelrechtlicher Beirat des NEM e.V. 

Manfred Scheffler 

Präsident des NEM e.V.


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